9.11.2018

Erinnerung an den Holocaust 

80 Jahre Reichspogromnacht

Heute jährt sich zum 80igsten mal die Reichspogromnacht. Am 9. November 1938 kam es zu wüsten Ausschreitungen gegen jüdische Mitbürger durch einschlägig bekannte NS-Anhänger angeordnet und koordiniert durch die Geheime-Staatspolizei. Jüdische Häuser, Wohnungen, Ladengeschäfte und Synagogen wurden von wütenden Demonstranten mit Parolen beschmiert, beschädigt, geplündert oder angezündet.

Diese von höchster Stelle angeordnete Gewaltdemonstration und Verhaftungswelle wurde damals offiziell als spontane Vergeltungsmaßnahme für das Mord-Attentat eines jüdischen Anarchisten an einem Deutschen Diplomaten in Paris der Öffentlichkeit dargestellt. Die Polizeibehörden ließen gleichzeitig zu den Hass-Demonstrationen gezielt Jüdische Männer verhaften und besonders scharf verhören, damit sie eingeschüchtert und besorgt um ihre Familie und Angehörigen möglichst bald die Auswanderung aus Deutschland antraten. Schon 1935 war nämlich allen Juden in Deutschland aufgrund der sogenannten Nürnberger Reichsbürger- und Rassegesetze die Bürgerrechte entzogen worden. Das tragische Schicksal der Juden in Deutschland nahm seinen schrecklichen Lauf. Daran sollte auch heute, 80 Jahre danach, stets erinnert werden.

Die meisten Deutschen Städte und Gemeinden haben dieses dunkle Kapitel ihrer Lokal-Geschichte inzwischen weitgehend aufgearbeitet, in vielfältiger Weise dokumentiert und zur Erinnerung an Vertreibung, Mord und Unrecht gegen die jüdischen Mitbürger entsprechende Schriften veröffentlicht sowie Mahnmale und Gedenkstätten errichtet. Vorbildlich und beispielhaft voranschreitend waren in unserer Region der Marktflecken Villmar (auf Initiative von Lydia Aumüller) aber auch die Gemeinde Selters (Dr. Norbert Zabel) und der Ortsteil Münster (Urs Datum), wo schon vor vielen Jahren öffentliche Erinnerungs-Tafeln und Gedenksteine errichtet wurden. Zuletzt auch in Selters-Eisenbach (Dr. Bernd Weil) mit einem Gedenkbuch und einem Mahnmal auf dem Ortsfriedhof.

Andere Kommunen und Stadträte wollten oder konnten dem Thema Juden-Pogrom zunächst keine Priorität einräumen. Scham vor der politischen Vergangenheit der Kommune und Rücksichtnahme auf die Reputation der Familien einstiger Täter belastete und behinderte die öffentliche Diskussion über dieses Thema. Dort wollte und konnte man bislang keine zentrale Erinnerungs- und Opfer-Gedenkstätte seitens der Kommune einrichten.

Dieses Versäumnis machte sich in den 90iger Jahren ein Kölner Aktionskünstler mit seiner fragwürdigen Geschäfts-Idee „Stolpersteine“ zu Nutze. Er verkauft seither tausendfach für 120,- € „Gebühren“ an politisch engagierte und entsprechend geltungsbedürftige Bürger mit besonders ausgeprägter Empathie für die Opfer des Holocaust sogenannte „Stolpersteine“ zum Gedenken an örtliche Opfer. Eine besonders bei den jüdischen Gemeinden und persönlich betroffenen Familien äußerst umstrittene „Bürgeraktion“, die mit steuerlich verwertbarer Spendenquittung besonders diejenigen Kommunen verlockt, die bisher ihrer Pflicht zur Aufarbeitung des Holocaust Vorort nicht oder nur halbherzig nachgekommen sind. Amtsträger in Gemeinden, die sich bisher eine offizielle Gedenkstätte oder Mahnmal auf Kosten des kommunalen Haushalts ersparen konnten, fordern deshalb heuchlerisch zu "Patenschaften" für solche „Stolperstein-Kunstobjekte“ vor den einstigen Häusern der Ermordeten auf. Leider werden dazu weder die heutigen Eigentümer der beliebig ausgewählten Anwesen oder die Nachkommen und Verwandten der jeweiligen Opfer einbezogen und um Erlaubnis gefragt.

In diesem Zusammenhang sei die Frage erlaubt, warum eigentlich keine "Stolpersteine" vor den Anwesen und Plätzen der damals Verantwortlichen und  Anstifter von Vertreibung und Mord, die in den Amtsstuben der Rathäuser und Gerichtsgebäude saßen, vorgeschlagen werden? Doch auf Bürgersteigen und Fußwegen zu Amtsgebäuden sind solche "Klagesteine" selbstverständlich unerwünscht.

Die ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Frau Charlotte Knobloch, München, und viele jüdische Gemeinden in Deutschland haben sich deshalb bereits vor Jahren unmissverständlich gegen die in ihren Augen missachtende und entwertende Gedenk-Inflation mit „Stolpersteinen“ ausgesprochen. Nach ihrer Ansicht, als eine der letzten Zeitzeugin und persönlich Verfolgte, erniedrigen und missachten die Stolpersteine sehr subtil und perfide das Andenken an die Opfer. Jetzt können Neonazis und Holocaust-Leugner schon wieder mit Schuhen auf den Opfern herumtrampeln und Hunde ihr Bedürfnis darauf verrichten.

Die Stadt München und andere Kommunen haben deshalb die Verlegung von Stolpersteinen auf öffentlichen Straßen, Plätzen, Fußwegen etc. strikt untersagt. Dort und in anderen Gemeinden erlaubt die kommunale Satzung über „Erinnerungskultur“ derartige Mahnmale, wie z.B. Stolpersteine, Stele, Kunstgebilde oder Gedenktafeln etc. nur auf Privatgelände, also öffentlich nicht zugänglichem Grundstücken.  

Im Übrigen erscheint schon der Name Stolperstein unangemessen. Würdiges Gedenken kann kein "Stolpern" sein. Dies kann nur auf Augenhöhe und lesbar auf  Gedenktafeln glaubwürdig geschehen. Vielmehr sollten zur würdigen Erinnerungspflege die Verdienste der jüdischen Bevölkerung zum Beispiel in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur in Deutschland viel stärker in den Vordergrund gerückt werden. Die Stolperstein-Aktion ist wohl für einfache Gemüter gut gemeint, aber aber wie  so manches in der jüngeren Politik leider das Gegenteil von gut.